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Interview 08.06.2016
«TIERSCHUTZ IST IMMER MENSCHENSCHUTZ»

Eine gekürzte Version dieses Interviews wurde zuerst im Schweizer Katzenmagazin 3/16 publiziert.


KLAUS PETRUS: Dr. Belal Yousef Abu Helal, Sie sind der einzige Tierarzt in Palästina, der auf Hunde und Katzen spezialisiert ist. Hören Sie manchmal den Vorwurf, Ärzte sollten sich – gerade in einem Land wie ihrem – zuerst einmal um die Menschen kümmern und dann um Tiere?
BELAL YOUSEF ABU HELAL:
Ja, diesen Vorwurf kenne ich gut. Doch ich bin überzeugt: Wer zu Tieren gut ist, der ist auch gut zu seinem Mitmenschen. Umgekehrt gibt es ja genügend Beispiele für gewältige Menschen, die früher Tiere gequält haben. Also ist Tierschutz immer auch Menschenschutz.

Sie engagieren sich für Palästinas Strassenhunde und streunende Katzen. Wie kam es dazu?
Strassenhunde und streunende Katzen beschäftigen mich schon länger. Als ich mich vor einigen Jahren an Organisationen im Ausland wandte und sie um Unterstützung für Kastrationen anfragte, waren fast alle Antworten negativ: Man würde das Projekt im Herzen zwar befürworten, doch sei Palästina nicht sicher genug, um dort zu arbeiten oder zu investieren. Dann hat sich 2014 die Palestinian Animal League (PAL) – das ist die einzige Tierschutzorganisation in unserem Land – gemeldet, wir haben uns getroffen und erste Workshops organisiert.

Welches sind Ihre Aufgaben innerhalb der Kampagne?
Ich untersuche die Tiere, wenn sie eingefangen werden. Dann werden sie von mir kastriert und geimpft oder je nachdem nur medizinisch versorgt. Und meist bin ich auch dabei, wenn sie wieder freigelassen werden. Daneben führe ich meine Studierenden in die TNVR-Methode ein: Trapping (Fangen) – Nutrition (Kastrieren) – Vaccination (Impfen) – Releasing (Freilassen). Es ist das erste Mal, dass diese Methode in Palästina angewandt wird. Das benötigt einiges an Wissen und Erfahrung. Deshalb ist es mir wichtig, dass die Studierenden bei jedem einzelnen Schritt dabei sind, vom Aufstellen der Fallen über die Operation bis hin zur Freilassung der Tiere.

Parallel zu den tiermedizinischen Massnahmen wurde eine Aufklärungskampagne lanciert. Wieso das?
In Palästina ist es bisher völlig unüblich, Hunde oder Katzen zu kastrieren. Die Leute müssen also zuerst verstehen, um was es hier eigentlich geht. Manche denken, das Problem mit den Strassenhunden oder streunenden Katzen sei erst dann gelöst, wenn es sie nicht mehr gibt, wenn sie sozusagen aus dem Gesichtsfeld verschwunden sind. Tatsächlich gibt es Organisationen, die genau so vorgehen: Die Tiere werden von der Strasse geholt, kastriert und zur Vermittlung freigegeben. Können sie nicht vermittelt werden, bringt man sie um. Damit hat unsere Kampagne nichts zu tun.

Hunde und Katzen an Leute zu vermitteln, dürfte in einer arabischen Gesellschaft ohnehin schwierig sein.
Man muss da unterscheiden: Hunde haben bei uns tatsächlich keinen besonders guten Ruf und oft ist das religiös motiviert. Das macht die Aufklärungsarbeit zusätzlich schwierig, aber nicht unmöglich. Katzen dagegen sind willkommen. Sich um sie zu kümmern und sie zu füttern ist auch religiös gesehen eine gute Tat. So wird in der Sunna berichtet, dass eine Frau mit ewiger Verdammnis bestraft wurde, weil sie eine Katze einsperrte und schlecht behandelte. Aber das Religiöse spielt in dieser Sache eine immer kleinere Rolle. Tatsächlich gibt es auch bei uns immer mehr Menschen, die sich Katzen und Hunde als Haustiere halten – eine Entwicklung, die ich auch aus pädagogischen Gründen willkommen heisse.

Was meinen Sie damit?
Zu Haustieren bauen wir eine persönliche Beziehung auf. So können wir Tiere besser kennenlernen. Und wir entwickeln eine besondere Verantwortung für sie. Ich habe das selbst erlebt. Als ich als junger Tierarzt in Dubai arbeitete, behielt ich einen jungen Kater nach einer Operation bei mir. Ich lebte vier Jahre mit «Tiger» zusammen, daraus entwickelte eine sehr enge Beziehung. Sicher, wo sich Menschen Haustiere halten, braucht es Vorschriften. Zum Beispiel müsste man sie kastrieren, mit einem Chip versehen und anderes mehr. Doch das ist bisher nur Zukunftsmusik: Palästina verfügt ja noch nicht einmal über ein eigenes Tierschutzgesetz.

Welche Unterstützung benötigen Sie für Ihre Kampagne?
Die Kampagne selbst ist bestens aufgegleist. Die entscheidende Frage ist: Wie können wir das Projekt nach dieser Kampagne nachhaltig gestalten? Hier brauchen wir in der Tat Unterstützung auf unterschiedlichen Ebenen. Von grosser Bedeutung sind zum Beispiel internationale Tierschutzorganisationen. Dabei sind wir nicht bloss auf deren Gelder angewiesen, sondern vor allem auch auf die Erfahrung, die sie in ihren eigenen Ländern machen – so zum Beispiel in tiermedizinischer Hinsicht.

Und was ist mit der Politik?
Auch die lokalen Behörden spielen eine zentrale Rolle für die Nachhaltigkeit unserer Kampagne. Sie können uns Infrastruktur sowie finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, damit wir unser Pilotprojekt hier in Tulkarm auf andere Städte in der Westbank ausweiten können. Deshalb ist es so wichtig, dass wir unsere Kampagne genauestens dokumentieren und in die Medien tragen. Je sichtbarer unsere Arbeit für die Behörden ist, desto mehr Gewicht haben wir für sie. Und desto grösser wird ihre Bereitschaft sein, uns zu unterstützen. Vielleicht finanzieren uns die palästinensischen Politiker eines Tages sogar ein Tierspital.

Die Kampagne für Strassenhunde und streunende Katzen in Palästina wird auch von NetAP – Network for Animal Protection unterstützt. Die Schweizer Tierschutzorganisation hat sich im In- und Ausland mit nachhaltigen Projekten einen Namen gemacht, darunter auch solche zum Schutz von Strassenkatzen.

 

MENSCHEN UND HUNDE IN PALÄSTINA

Es gibt immer mehr Strassenhunde in Palästina. Und damit auch immer häufiger Konflikte zwischen Menschen und Hunden. Die Palestinian Animal League (PAL) ist die einzige Tierschutzorganisation im Land und hat jetzt eine Kampagne lanciert.

Dabei geht es nicht nur darum, die Tiere zu kastrieren und medizinisch zu versorgen. Auf dem Spiel steht nichts weniger als eine neue Mensch-Hund-Beziehung. Denn bekanntlich haben Hunde in arabischen Gesellschaften keinen besonders guten Ruf, was grösstenteils kulturell oder religiös bedingt ist. Entsprechend hat PAL zusätzlich eine Aufklärungskampagne gestartet, um den Menschen ein anderes Bild vom Hund aufzuzeigen.

Klaus Petrus von METIBE wurde von PAL damit beauftragt, die Kampagne mit Fotografien, Videos und Interviews zu begleiten und so eine Dokumentation zu erstellen, die sich vielfältig verwenden lässt: für Veterinärstudenten, die Medien, andere Tierschutzorganisationen, die Bevölkerung sowie die lokalen Behörden.

Unterstützt wird diese Dokumentation von NetAP – Network for Animal Protection und der DiOro Stiftung.

Haben Sie Interesse an unserem Projekt über Palästinas Strassenhunde oder möchten Sie es finanziell unterstützen? Hier erfahren Sie mehr darüber oder setzen Sie sich direkt mit uns in Kontakt: info@metibe.ch.

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